Gestern durfte ich im Nationalrat im Rahmen der parlamentarischen Enquete “Stärkung der Demokratie” sprechen. Ich habe die Gelegenheit genutzt, den Parlamentariern einen sehr konkreten Vorschlag zu machen. Transkript der Rede:

Sehr geehrte Damen und Herren,
bevor ich auf die von Prof. Filzmaier angesprochene Interaktivität zu sprechen komme, möchte ich Sie auf eine kleine Gedankenreise mitnehmen:
Stellen Sie sich vor, wir befinden uns im Jahr 2001 und wir sollen entscheiden, wie das Wissen der Menschheit möglichst gut erfasst werden soll. Eine Gruppe von Expertinnen hat zwei Modelle ausgearbeitet:
Modell A sieht ein großes Team an Fachautoren vor, das enzyklopädische Artikel verfasst. Diese Artikel werden dann vor Veröffentlichung fachlichen Peer-Reviews unterzogen. In Modell B stellen wir eine zunächst leere Website online, deren Seiten mit einem “Bearbeiten”-Button ausgestattet sind. Jeder kann alles korrigieren, löschen oder publizieren, inklusive Lügen, Unterstellungen und Bombenbauanleitungen.
Für welches Modell zur Schaffung dieser Weltenzyklopädie würden Sie sich entscheiden? Ich muss gestehen, ich hätte mich 2001 für Modell A entschieden. Wir alle hätten uns für A entschieden. Und damit gegen die Wikipedia, das größte Wissensprojekt der Menschheitsgeschichte.
Warum ist das so? Weil es in der menschlichen Natur liegt, dass wir uns die negativen Effekte von Veränderung in allen Farben vorstellen können, während uns für die positiven Effekte schlicht die Vorstellungskraft fehlt. Haben wir also etwas mehr Mut zur Veränderung.
Wir befinden uns mitten in einer digitalen Revolution, die keinen Bereich unserer Gesellschaft verschont. Die heute geladenen Medienvertreter können ein Lied davon singen. Doch dieser Umbruch stellt eine große Chance für unsere demokratisches Zusammenleben dar, denn erstmals ist es möglich, breite Bevölkerungskreise direkt an der Demokratie zu beteiligen.
Im letzten Satz kamen die Wörter “direkt” und “beteiligen” vor. Auch wenn es heute um “direkte Demokratie” geht, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf das Wort “beteiligen” lenken. Bürgerinnen und Bürger könnten viel stärker an politischen Prozessen beteiligt werden, als dies bisher der Fall ist. Und durch die Digitalisierung ist das erstmals auch auf überregionaler Ebene möglich. Auf lokaler Ebene funktioniert Bürgerbeteiligung ja schon länger.
Sollten Sie jetzt an das abfällige Klima in den Kommentaren unserer Onlinemedien denken: Digitale Partizipation braucht eine stabile Partizipationsarchitektur. Das abfällige Klima in den Onlineforen ist nicht gottgegeben, sondern lediglich Resultat einer schlechten Partizipationsarchitektur.
Dass es auch gute Partizipationsarchitektur gibt, zeigt nicht nur die Wikipedia, sondern das zeigen auch die Isländer, die partizipativ im Internet eine neue Verfassung erarbeitet und abgestimmt haben. Oder zahlreiche kommunale Budgets in deutschen oder brasilianischen Gemeinden, die online partizipativ erstellt werden, sogenannte Bürgerhaushalte, sowie unzählige weitere Beispiele.
Erlauben Sie mir zu sagen: Die Arbeit dieses Hauses durchweht immer noch der josephinische Geist – Alles für das Volk, nichts durch das Volk.
An dieser Stelle habe ich auf ein paar Zwischenrufe gehofft: Onlinepetitionen! Stellungnahmen durch Bürger auf der Parlamentshomepage! Offen gesagt, all das hat meines Erachtens kaum mehr als Feigenblattfunktion. Wenn Sie tatsächlich Beteiligung in der Gesetzgebung wollen, dann hätte ich einen Vorschlag, den Sie noch in der laufenden Legislaturperiode umsetzen könnten:
Öffnen Sie als ersten Schritt den Begutachtungsprozess online für Bürger.
Denn die aktuelle Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben, ist völlig unzureichend. Ich skizziere das kurz:
Erstens muss die Beteiligungsmöglichkeit von einer Holschuld zur Bringschuld werden. Das heißt, dass Regierungsvorlagen journalistisch aufbereitet werden, damit sie auch von Nicht-Juristen verstanden werden. Ob man Biber abknallen dürfen soll oder nicht, sollen Biologen, Umweltschützer und Jäger diskutieren, nicht Juristinnen und Politiker.
Legistische Formulierungen müssen erklärt werden: Was soll dieser Absatz bewirken? Von wem stammt der Vorschlag ursprünglich? Welche Auswirkungen hat er? Welche Änderungen hat er durchlaufen? Journalistische Aufbereitung heißt natürlich auch Öffentlichkeitsarbeit, heißt aktive Einladung der Stakeholder zur Diskussion. Und heißt auch technische Aufbereitung. Die aktuelle Parlamentswebsite ist ja leider eher ein Krampf.
Dann wäre der ganze Gesetzwerdungsprozess zu dokumentieren. Welche Stellungnahmen haben es in die Finalversion geschafft? Welche nicht? Und warum? Transparenz und niedrigschwelliger Zugang zu Information sind das Fundament einer Partitzipationsarchitektur. Ich vermute, dazu wird Josef Barth vom Forum Informationsfreiheit noch etwas sagen.
Die Nominierung von zugezogenen Experten müsste offen und nachvollziehbar ablaufen. Die Auswahl von uns als Experten für die heutige Veranstaltung entspricht nicht diesen Kriterien. Und natürlich müsste die Begutachtungsphase lange genug dauern und dürfte nicht mit einer hinter den Kulissen längst verhandelten Regierungsvorlage starten, wie das jetzt oft der Fall ist. Niemand investiert Zeit und Aufmerksamkeit in eine Scheindebatte.
Soviel zu einer sehr konkreten Option, dieses Haus mithilfe digitaler Medien demokratischer zu machen. Es gibt unzählige weitere Möglichkeiten. Werfen Sie einen Blick auf BesserEntscheiden.at, da haben engagierte Bürger bereits weitere konkrete Vorschlage gemacht.
Wir diskutieren dauernd über die Entfremdung der Bevölkerung von der Politik. Ich glaube, wir kämen dem Thema deutlich näher, würden wir über die Entfremdung der Politik von der Bevölkerung sprechen.
Das Internet bietet uns großartige Möglichkeiten, Politik wieder zu einer Res Publica zu machen.
Herzlichen Dank.