Reißerischer Titel*, ich weiß. Aber vielleicht auch nicht:
Vorgestern habe ich Telekom-Chef Hannes Ametsreiter gefragt (eigentlich Tim Berners-Lee, aber der zog es vor, seinem Gastgeber nicht ans Bein zu pinkeln), wie er’s mit der Netzneutralität hält. Ergebnis: Ametsreiter will sie abschaffen. Das hat er meines Wissens auf österreichischem Boden noch nie zugegeben (aber hier).
Im Klartext bedeutet die Aussage bei 1:45: Hannes Ametsreiter stellt die Netzneutralität in Frage und bedroht damit die Freiheit und Offenheit des Internets.
Darüber kann weder seine anfängliche Ablenkung auf Themen, die mit Netzneutralität nichts zu tun haben, noch der Futuretalk-Event samt Anarchy-Logo und Helden wie Berners-Lee hinweg täuschen. Die Ironie ist kaum noch zu toppen. Aber vielleicht will man uns mit dem Event-Motto “Who owns the Internet?” ja einfach auf die Antwort “We do” vorbereiten?
In folgendem Video spricht Berners-Lee Klartext: “Millions of people are using the web freely today. I am worried that this will end.” Und er spricht von millionenschweren Lobby-Kampagnen der großen Telekoms.
Gestern hat er sich offenbar selbst kaufen lassen und geschwiegen. Lediglich Anke Domscheit-Berg hat dagegen gehalten. Was Tim Berners-Lee sagen hätte sollen:
The moment you let net neutrality go, you lose the web as it is. You lose something essential ”“ the fact that any innovator can dream up an idea and set up a website at some random place and let it just take off from word of mouth. You can end up helping humanity and make a profit out of it once you”™ve got a domain name.
We can never spend enough time fighting for the neutrality of the underlying network.
Denn das hat er gesagt.
Zur Erklärung: Die Aufgabe von Netzneutralität bedeutet nicht, “Skype ist nur mit dem XY-Zusatzpaket nutzbar”, wie Tom Schaffer in den Kommentaren schreibt. Das ist nur eine Konsequenz. Sie bedeutet, dass Datenpakete nicht mehr gleichwertig behandelt, sondern manche bevorzugt, andere benachteiligt werden. Die Bevorzugung löst nach der Marktlogik eine Versteigerung von Bandbreite aus. Eine Beschleunigung “reicher” Inhalte bremst “arme” Inhalte aus.
Mehr noch: Das schafft den Grundbaustein für Zensur. Die neuen Gatekeeper könnten prohibitive Preise verlangen, schon bleibt dein Inhalt (oder Anschluss) offline. Und illegale Inhalte (oder was irgendeine Lobby oder irgendein Land dafür hält) dürfen gar nicht durch.
- Savetheinternet.com
- What is Net Neutrality? (Youtube)
- Dutch Lawmakers Adopt Net Neutrality Law (NYT)
- La Quadrature du Net
- Respect My Net
- Netzneutralität (Wikipedia)
(Video: © Telekom Austria)
* Ursprünglicher Titel war: Die Telekom Austria bedroht die Freiheit des Internets. War mir dann aber zu pathetisch.
PS. Tim Berners-Lee hat sich auf der Veranstaltung offenbar zu einem früheren Zeitpunkt klar für Netzneutralität ausgesprochen (war mir entgangen), nur halt am Schluss dazu geschwiegen.
26 replies on “Die Telekom Austria will die Netzneutralität abschaffen”
Leider aber nachvollziehbar, dass Hr. Ametsreiter das so sieht. Hier gehts leider _nur_ ums Geschäft.
wir heissen jetzt a1
Liebe/r Aehm, bist du dir sicher?
;-)
Hmm. Angesichts vergangener Aussagen und der Brisanz des Themas bin ich ja einverstanden, alles sehr skeptisch zu beäugen, was Leute wie Ametsreiter sagen.
Aber was ist die Zeile mit der er deiner Meinung nach die Netzneutralität in Frage stellt? IMO ist das vor allem so interpretierbar, dass er weiterhin für die beste Anbindung mehr Geld sehen will als für langsamere Versionen. Das ist ja mehr oder weniger schon immer der Fall gewesen und auch logisch. Das Sicherstellen von schnellem Breitband für alle ist auch mehr ein politisches als ein unternehmerisches Thema.
Unter Netzneutralität verstehe ich eher Dinge wie “Skype ist nur mit dem XY-Zusatzpaket nutzbar”. Das ist etwas, das die Offenheit des Webs gefährdet, weil damit der Zugang nicht mehr egalitär ist, aber dem hat er imo hier nicht wirklich das Wort geredet – beim “Access” sagt er sogar eher ausdrücklich, dass ihn jeder haben soll.
Wortwörtlich, bei 1:45:
Wenn dir das nicht klar genug ist, dann nimm ihn im WSJ beim Wort:
Zu Skype:
Zu einer Netzneutralitätsrichtlinie:
Reicht dir das? ;-)
ja, wie gesagt: frühere aussagen legen die vermutung ja nahe, dass ametsreiter eine gefahr für die netzneutralität ist.
aber ich find eben nicht, dass er das bei diesem talk gesagt oder zugegeben hat (so wie du das eben bewusst sehr reisserisch interpretierst). für mich hat er hier vom freien zugriff auf alles bei unterschiedlichen geschwindigkeiten je nach dem preis gesprochen – und das war ja schon immer der fall. wer ein 4mbit-paket kauft, surft eben nicht mit dem speed eines 30mbit-pakets. ebenso wie vor einigen jahren halt ein 28k modem keine isdn-geschwindigkeiten erlaubte.
die diskriminierung der daten auf betreiberseite ist wieder ein anderes thema, aber ich kann – als jemand der vielleicht wegen dem mangel an technischem detailwissen das signalwort überhört? – dazu in seinem statement beim futuretalk nichts finden.
“Regarding Bandwidth: (..) Of course there is a difference between one service and the other service.”
Das ist eine eindeutige Absage an Netzneutralität, und genau das hat er gesagt. Service difference ist das Gegenteil von Service neutrality. Die WSJ-Aussagen bestätigen das ja auch.
Er hat’s nur in viel nettes Geschwurbel verpackt, damit’s nicht zu sehr auffällt – eine breite öffentliche Diskussion soll offenbar vermieden werden.
Der Titel ist dem Motto des Events geschuldet. Wenn jemand Internet-Anarchy plakatiert und dann gleichzeitig die Netzneutralität infrage stellt, muss man deutlich werden, finde ich.
Netzneutralität heißt für mich, dass man als Provider einzelne Dienste (etwa Skype, Facebook oder Google) nicht aussperrt bzw. auch prinzipiell jedes Datenbit gleichermaßen weiterleitet und behandelt und nicht nach Herkunft des Dienstes/Preispaket des Nutzers diskriminiert. Inwiefern ist das mit der Bandbreitenaussage bei 1:45 betroffen?
Bandbreite und Speed sind im Wesentlichen das, was doch beim Provider schon jetzt in unterschiedlichen Ausmaßen kauft oder? Eine 16MBit-Leitung ist breiter und schneller als eine 768kbit-Leitung.
Wie gesagt: Ich bin technisch da nicht allzu gut informiert, drum würds mich ja wirklich interessieren, ob unter dem Schlagwort “Speed” bei Netzneutralitätsfeinden bereits diese Diskriminierung subsumiert wird?
Tom, wenn du “between one service and another” beim “Speed” eine “Difference” machst (Zitate Amtesreiter), dann ist das das exakte Gegenteil des gleichen Behandelns jedes Datenbits, das Gegenteil der Nicht-Diskrimierung nach Herkunft oder Preispaket, das Gegenteil eines neutralen Netzes.
Also ich höre bei dem future.talk Statement nicht heraus, dass Ametsreiter die Netzneutralität in Frage stellt. Faktum ist, dass die Provider mit einem extremen Wachstum konfrontiert sind und die Einnahmen nicht in dem Maße sprudeln wie es nötig wäre, um die Kapazitäten aufzustocken. Das führt vor allem dazu, dass es immer schwieriger wird, allen dieselbe (bzw. die gewünschte) Bandbreite zur Verfügung zu stellen. Im Mobilfunk merkt man das in stark frequentierten Gebieten besonders deutlich. Und auch im Festnetz gibt es Unterschiede (je nach Technologie, Ausbaugrad und Tageszeit). Ich finde den Ansatz von Berners-Lee nicht unspannend: Er meinte, Provider sollten ”žlow bandwith“ kostenlos zur Verfügung stellen und das mit den Einnahmen aus den Produkten mit ”žhigh bandwith“ stützen. Der andere Aspekt der Netzneutralität ist der freie und ungehinderte Zugang zu Informationen und Services. Da gebe ich TBL recht. Das in irgend einer Weise einzuschränken ist das Ende des Internet wie wir es kennen.
@helge: da interpretierst du den “service” als das was reinkommt, ich seh das so, dass ametsreiter damit aber das servicepaket des providers meint, das man kauft – dass er also nicht jedem user denselben anschluss geben will, egal was dieser zahlt (wohl aber denselben zugang). daran spießt sich der interpretationsunterschied ;)
Wenn man das nicht raus hört, will man’s vielleicht auch nicht raus hören. Denn:
1) Wäre Ametsreiter ein Befürworter der Netzneutralität, hätte er das klar gesagt, anstatt sich so zu winden. “I believe Net Neutrality is an important issue. We have no plans to discriminate data on our network.” Alle applaudieren, Berners-Lee und Domscheit-Berg haben ihn lieb.
2) Hast du nach seinem Statement von vorgestern (oben von mir Wort für Wort zerlegt) immer noch Zweifel, kannst du ja im WSJ nachlesen, wie er’s gemeint hat. So deutlich, dass es selbst dem Journal die Zehennägel aufgestellt hat.
Es ist jedem ISP und Mobilfunkbetreiber unbenommen, schnelle & teure sowie langsame & billige Internetzugänge anzubieten. Du weißt das, Ametsreiter weiß das. Und es gibt diese Produkte auch längst (ok, A1 kriegt’s vielleicht technisch noch nicht hin, womit auch die langsamen Produkte wie Bob versehentlich schnell sind, aber das ist eine andere Sache).
Die Debatte zur Netzneutralität (also die unterschiedliche Behandlung auf Basis des Services – zb. schnelle kostenpflichtige Streams, langsame Downloads, blockiertes Skype) mit solchen Nebelgranaten zu führen, finde ich unredlich.
Nachsatz: Anke Domscheit-Berg, die am Podium saß, versteht das auch nicht anders.
Zusatzbemerkung zur unterschiedlichen Behandlung von Services: Soweit ich verstehe (und ich bin kein Techniker und auch kein User Experience Experte) haben Services unterschiedliche Anforderungen bzw. Voraussetzungen: Bei asynchronen Services wie etwa E-Mail (Texte, nicht Attachments!) ist kein Unterschied merkbar, wenn sie etwas langsamer zugestellt werden. Bei synchronen Services wie Video-Chats sehr wohl. Gesetzt den Fall, es kommt zu Kapazitätsengpässen, könnte E-Mail Traffic niedriger priorisiert werden als der Chat-Traffic und die “User Experience” ist nicht beeinträchtigt. Wenn Provider zu solchen Traffic-Management-Maßnahmen greifen, ist das keine “Diskriminierung nach Herkunft oder Preispaket”. Ich bin aber dennoch der Meinung, dass Kunden das Recht haben, zu erfahren, welche Kriterien diesem Traffic-Management zu Grunde gelegt werden wenn es einmal eingesetzt wird.
Umgekehrt will mans vielleicht hören, wenn mans raushört. Ich hätt überhaupt kein Problem damit, wenn dein Beitrag eine Reaktion auf den WSJ-Artikel wäre, aber ich finds eben ein bisserl wishful thinking hier vom ersten zugeben auf österreichischem boden zu reden, denn imo hat er das vorgestern einfach nicht getan. da gehts um den aufhänger.
@Werner: Natürlich gibt es wertlosen Traffic (Spam-Mails) und wichtigen Traffic (Streams, Telemedizin). Für fatale Maßnahmen gibt es halt auch gute Argumente. Warum fatal? Ich zitiere mich kurz selbst:
Warum fatal erklärt aber auch der Held des Abends, TBL, ganz gut in oben verlinktem Video.
@Tom: Die einzige Interpretationsfläche oben zitierten Satzes ist das Wort “Service”. Da es aber 1) diskrimierende Services (nach deiner Definition) längst gibt, und zwar seit Jahren und 2) wir das WSJ-Interview kennen und 3) er sich in der Alternativinterpretation nicht winden hätte müssen, gibt es Null Komma Null Interpretationsspielraum. Aber auch wirklich gar keinen.
@Helge: Im Grundsatz gebe ich dir recht. Wenn aber der Punkt kommt, wo die QoS für die Mehrzahl der User nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, hat auch niemand was davon. Wenn Traffic-Management eingesetzt werden muss, dann sollte das auch nicht nach der Unterscheidung “wichtig” und “wertlos” erfolgen, sondern nach Gesichtspunkten, die sicherstellen, dass die Services in einer brauchbaren Qualität genutzt werden können. Von Allen! Und die gesetzten Maßnahmen sollten transparent sein. Ich persönlich glaube, dass die Notwendigkeit dafür noch nicht da ist, dass man aber besser vorher darüber diskutiert als nachher. Insoferne fand ich es gut, dass Du beim Event diese Frage gestellt hast. Dass dein Post etwas polemisch ist, hast du in deinen einleitenden Worten eh selbst bemerkt.
Wenn der Punkt kommt. Die Kassandra-Rufe der diversen Telkos sind mir ein bisschen zu interessenskonfliktbeladen, als dass ich ihnen Glauben schenken könnte. Let’s cross the bridge when we come to it!
Die Frage von Helge an TBL wurde sehr geschickt “weggefischt”.
Und ja: Hannes Ametsreiter hat seine Abneigung von Netzneutralität auch gegenüber der Kleinen Zeitung im Interview schon bekundet. Ich find’s nur grad nicht.
weitere info zur netzneutralität beim elektrischen reporter:
Elektrischer Reporter ”“ Netzneutralität: Alle Bits sind gleich?
Ganz hervorragendes Video!
A1 ist in wirklichkeit ein “dummer daten-spediteur” und das passt schon so.
sobald sich die telkos aufschwingen zu bestimmen WAS durch die leitung darf, haben wir ein zensur- und preisproblem:
falls die telkos überfordert sind ein richtiges internet anzubieten, muss der staat diese infrastruktur sicherstellen.
[…] Die Telekom Austria bedroht die Freiheit des Internets […]
A. vertritt, wenig überraschend, die kurz- und mittelfristigen Interessen seiner Firma und Branche. Er wäre sonst wohl nicht in dieser Position tätig. Von ihm ist ebensowenig zu erwarten, dass er sich für die Netzwerkneutralität einsetzt, wie von einem Nerzzüchter die Forderung nach einem Pelzverbot wahrscheinlich ist.
Eigentlich eh klar, dass die Netzneutralität durch Regulierung von aussen und nicht durch die Mildtätigkeit von Telekom-CEOs durchzusetzen ist.
@Tschuri: Ja, und eigentlich auch klar und wenig überraschend, dass Aussagen von Telekom-CEOs von Menschen wie mir kritisch kommentiert werden müssen, damit der Gesetzgeber Netzneutralität festschreibt. Oder?
Nicht nur, aber besonders, wenn sich der Telekom-CEO mit der Symbolik des ach so freien Internets schmückt.
[…] Gestiftet wurde der Wolo vom Künstlerkollektiv monochrom. Er ist die “Goldene Himbeere” unter den Web-Awards und wird vergeben für ”“ ja für was eigentlich? Der Ehrlichkeit halber: Ich sitze seit zwei Jahren in der Jury und weiß es immer noch nicht genau. Denn im Gegensatz zu den etwa zeitgleich abgefeierten Big Brother Awards will der Wolo nicht (bzw. nicht nur) die Datenrüppel und -sünder abmahnen. Er ist thematisch breiter aufgestellt, das ist seine Stärke und Schwäche gleichermaßen. monochrom definiert ihn als “Lobesschwanengesang auf die kommunikationstechnologiefeindlichsten und kulturpessimistischsten Distinktionsgewinnler!” Schon mal gut, denn da passt jeder rein, der sich durch die digitale Kluft profilieren oder, schlimmer, von ihr profitieren will. Dass diese nämlich existiert, stellt niemand in Abrede. Bloß braucht man sich an ihr ja nicht aufzugeilen. Gell, liebe Telekom Austria? […]