Über das am 27.5. hier veröffentlichte Gerücht (nichts mehr war es zu diesem Zeitpunkt!), über das die Futurezone und der Teletext korrekt berichteten, sind in der Folge Artikel erschienen, die tief in die kaputte Funktionsweise der alten Medienwelt blicken lassen.
Zuerst meldete ORF-On auf der stark frequentierten Frontpage:
Österreichische Blogger haben konkrete Hinweise darauf erhalten, dass..
“Konkrete Hinweise” war genau das, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht hatten, lediglich Wirtshaustratsch und Vermutungen. Interessant auch, dass der Artikel von einem Standort “bei Steyr” spricht – hatte ich doch (geografisch nicht ganz korrekt) von einem Vorort von Steyr geschrieben, obwohl Kronstorf in Linz-Land liegt.
Die Oberösterreichische Nachrichten schrieben dann unter dem Titel “Google prüft Großinvestition an der Enns”:
Seit Tagen häufen sich Meldungen im Internet, dass Google in Kronstorf ein riesiges Datenzentrum errichten will.
“Seit Tagen” = seit kaum mehr als 24 Stunden. “Häufen sich Meldungen” = eine Meldung. Dazu keine Quellenangabe. Der Autor der Geschichte, Josef Lehner, war übrigens von einem anderen Journalisten per Email auf mein Blogposting aufmerksam gemacht worden.
Im Online-Standard erschien in der Folge ein Artikel, der das Datencenter in Berufung auf den OÖN-Artikel als Faktum darstellte:
Google plant ein Rechenzentrum im Oberösterreichischen Kronstorf zu errichten. Dies berichten die Oberösterreichischen Nachrichten am Donnerstag. Laut der Tageszeitung soll der IT-Konzern bereits ”žeinen Vorvertrag über 60 Hektar Grund abgeschlossen“ haben.
“Google plant zu errichten.” Kein Konjunktiv, kein “möglicherweise”, kein “Gerücht”. (Anmerkung: Inzwischen wurde der Artikel ergänzt und entschärft.) Und das obwohl die APA-Meldung, auf die sich der Artikel bezieht, mit den Worten “In Oberösterreich mehren sich die Gerüchte..” beginnt.
Die OÖN schmückten sich dann in einem weiteren Artikel besonders penetrant mit fremden Federn:
Der Exklusivbericht der OÖN vom letzten Donnerstag, dass der Internet-Multi Google in Kronstorf an der Enns ein 400 Millionen Euro teures DataCenter errichten will, hat (..) Medienschlagzeilen im gesamten deutschen Sprachraum ausgelöst.
Zur Erinnerung: Vor der OÖN war die Nachricht immerhin auf Twitter, hier auf Helge.at, auf ORF-ON, im ORF-Teletext und in der ORF-Futurezone zu lesen gewesen. Ein Email an Herrn Lehner mit einem Hinweis auf dieses Blogposting blieb übrigens unbeantwortet.
Weitere Artikel: News.at, Kleine Zeitung (die es “exklusiv erfahren hat”), Die Presse, “Österreich“, Wiener Zeitung, Börse-Express, Liferadio, etc.
Update 4. Februar 2010: Die letzten 2 Jahre stand in diesem Artikel:
Die APA gab in der Folge eine Meldung heraus, die das Datencenter in Berufung auf den OÖN-Artikel als Faktum darstellte. Der Online-Standard (und einige andere Medien) übernahm die Meldung offenbar ungeprüft.
Das ist jedoch nicht richtig, denn nicht die APA-Meldung war falsch, sondern der Online-Standard hat die relativ ausgewogene APA-Meldung so verändert, dass aus der Möglichkeitsform eine Tatsachenbehauptung wurde. Da APA-Meldungen nicht kostenlos einsehbar sind und für mich undenkbar war, dass der Online-Standard die Meldung so sinnentstellen würde, habe ich angenommen und behauptet, die APA hätte diesen journalistischen Fehler begangen. Mein Fehler. Allerdings eigenartig, dass die APA über kein geeignetes Monitoring verfügt, das ihnen diese Behauptung auf den Radar gebracht hätte – es wäre ein Leichtes gewesen, mich hier zu korrigieren – dazu gibt es die Kommentarfunktion. So haben tausende Besucher seit 2 Jahren wie ich angenommen, der Fehler läge bei der APA.
13 replies on “Traurige alte Medienwelt”
Im Prinzip hast Du sicher Recht, aber ich denke, dass Dein Blog nicht das einzige war, das über die Gerüchte berichtete. Der Artikel ist ja in der Print-Ausgabe erschienen und dass man dazu keine Links abdruckt, wundert mich jetzt nicht unbedingt …
@Lukas: Es geht mir nicht um eine namentliche Nennung. Es geht darum, dass es nicht ok ist, “es gibt da so Meldungen..” als Quelle anzugeben. Das gilt auch für “aus der Firma nahestehenden Kreisen..” und ähnliche Formulierungen.
Leser für dumm zu verkaufen, so zu tun, als wäre man als Medium an der Quelle der Objektivität, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wie so ein Artikel ausschauen kann, zeigt die Futurezone: http://futurezone.orf.at/it/stories/281215/
Und ja, das hier was das erste Blog das darüber schrieb. Das Gerücht selbst wurde auf Twitter veröffentlicht.
THats exactly what I meant with my tweet to you yesterday about the phrase “konkrete hinweise”. I wasn’t cutting down your abillity to put 2 and 5 together, I was annoyed at the implication that it was all practically bestätigt.
“Hinweise häufen sich” would have been closer (or something like that, Im not a german writer). But to say they were konkret would have implied some kind of evidence like say…
A mail from a google exec, some kind of signed document (say an offert or a lease) and so on and so forth.
It’S sort of like the reports about the Austrian iPhone release, when DerStandard was reporting straight up rumors as fact. Anyone who had been following shit at the time knew that they were rumors, and it was pretty clear that they were off by a longshot.
You are right that the futurezone article you linked to in this comment was a good example of how it should be reported.
It’s also been edited since my tweet to you.
Jaja, die Online-Redaktöre und Redaktösen… die klauen und verzapfen dann als obs von ihnen wär.
lg,
Marcus
wär einen versuch wert rein experimentell einige gerüchte zu erfinden um zu beobachten welches davon wie grosse wellen schlägt ;-) wie war das nochmals… die menschen glauben dir immer genau das wovon sie am meisten befürchten dass es wahr werden könnte :-)
Also ich seh nichts, dass der Standard dazu recherchiert hätte. Das ist doch alles eine APA-Kopie.
@#60649 ;) eher das ist doch ein abgeschreibe wie in der Unterstufe ;) der eine schreibt 30 Rechen zentren der andere 40 und keiner ist sich einig …
[…] Julius Meinl allen MEL Aktionären die Aktien zum Kurs von 8,5 abkauft ? Da erinnere ich mich wie ein Eintrag im Blog von Helge Fahrnberger zu Zeitungsartikeln und Gerüchten über ein Google Datacenter geführt hat. Man kann zwar auf […]
[…] mich bleibt die Sache ein Lehrstück über unsere traurige alte Medienwelt. Categories: Main Blog, Media, Search Engines, […]
Steyr ist aber näher an Kronstorf, als Linz.
[…] hätte die APA Tags darauf nicht ihre “Google plant Rechenzentrum”-Meldung durchs Land geschickt. Doch an solcher Schwarmintelligenz scheint kein Medium interessiert. Die Dummheit der Kommentaren […]
[…] Vor zwei Jahren habe ich ein Gerücht veröffentlicht, Google plane eine Niederlassung in der kleinen Gemeinde Kronsdorf in Oberösterreich, weil ein Bekannter von mir das als Tankstellenklatsch erfahren hat und das dann getwittert hat. Und das hat dann eine ziemlichen Aufruhr verursacht. Das wurde von den Massenmedien übernommen. Auch samt ein paar kleinen Fehlern, die ich versehentlich eingebaut habe. Da ich ja aus der Stadt Steyr bin, habe ich Kronsdorf als einen Vorort von Steyr bezeichnet. Er ist aber eher ein Vorort von Linz. Überall stand dann “Vorort von Steyr”. Das fand ich ganz lustig. Es hat große Probleme verursacht, weil es offenbar ein Stillhalteabkommen zwischen Gemeinde und Google gab. Ein halbes Jahr später wurde das dann offiziell in einer Pressekonferenz bekannt gegeben. Und wir haben es halt ein halbes Jahr vorher an die Presse gebracht, das war ganz witzig. Das Interessante dabei war, ich habe nur das Initialgerücht geschrieben, und die meisten Informationen kamen dann über meine Leser als Kommentar. Ich habe gehört, Niederlassung von Google. Der erste Kommentator sagt: ”žIch kann mir nicht vorstellen, dass es eine Niederlassung sein soll, denn wo gibt es die Eliteuni, das wird sicher ein Datencenter, wenn es stimmt.“ Dann sagte der nächste: ”žDatencenter klingt plausibel, weil da gibt eine Fluss zur Kühlung und drei Flusskraftwerke in der Nähe für genügend Strom.“ Der nächste sagte: ”žAh, da geht ja die große Glasfaserleitung der Telekom Austria nach Osteuropa vorbei, ganz dort in der Nähe.“ Und dann kommen die Bits und Pieces zusammen und wenn du das fertig gelesen hast, weißt du: Das stimmt. Das ist total plausibel. Und ich habe dann immer ein Update zum Datencenter geschrieben, habe aber immer auch dazu geschrieben: ”žAchtung Gerücht!“. Ich habe das nie als Tatsache verkauft. Da gab es ein massives Versagen der Presse. […]
[…] um Google im österreichischen Kronsdorf zeigt die Problematik von verlässlichen Quellen auf. Die Geschichte wurde von Helge Fahrnberger auf auf helge.at sehr gut rekonstruiert. Drucken als PDF speichern Tags: Google, […]