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Blogger sind keine Journalisten. Nochmal: Keine Journalisten.

Markus Pirchner hat im Nachgang der ÖVP-lädt-Blogger-zum-Parteitag-Aktion mit der in der Partei dafür verantwortlichen Generalsektretärin Michi Mojzis über die Aktion ein Interview geführt.

Während Mojzis das Thema Social Media in einem Ausmaß verstanden hat, das mich überrascht (“Wir werden mithilfe der Blogs unsere Kritikfähigkeit verbessern”), sitzt sie einem massiven Missverständnis auf. Denn auf Markus’ Frage nach dem Warum antwortet sie:

Blogger sind eine neue Form von Journalisten.

Diese Ansicht ist genauso falsch (auch wenn es vereinzelt Blogs gibt, die sich in Richtung eines journalistischen Mediums entwickeln) wie leider verbreitet. Blogger sind keine Journalisten. Blogger sind Bürger, Konsumenten, bzw. in diesem Kontext Wähler.

Wähler die ihre Meinung immer schon kund getan haben: Beim Stammtisch, in der Rauchpause am Arbeitsplatz, beim Grillen mit den Schwiegereltern, in der Straßenbahn. Wähler sind keine amorphe Masse, die ihre Meinung nur am Wahltag und bei Meinungsumfragen kundtun. Das ganze nennt sich Mundpropaganda, also Empfehlungsmarketing im Netzwerk (Wikipedia) – und beeinflusst Wahlen seitdem es Wahlen gibt.

Geändert hat sich nur das Medium unserer Mundpropaganda, mit zwei Konsequenzen:

  • Größere Reichweite. (Und selbst das trifft nicht auf alle Blogs zu.)
  • Permanenz. Aussagen sind schriftlich und über eine permanente Adresse erreichbar – was den Diskurs erleichtert, da sich Andere darauf beziehen können. Das “Netzwerk” (siehe oben) bekommt eine technische Struktur: Hypertext. Unbedingt lesen: The Importance of Being Permanent.

 

Nur weil wir schreiben und ein Medium nutzen, sind wir noch lange keine Journalisten. Der Dialog, den Politiker führen, wenn sie mit Bloggern kommunizieren, ist ein Dialog mit Wählern. Wähler der neuen Sorte, if you wish.

Das Missverständnis “Blogger sind Journalisten” führt dann auch zu verrückten Konsequenzen wie dem Anfang März bei den deutschen Nachbarn in Kraft getretenen Telemediengesetz, das Bloggern u.a. die journalistische Sorgfaltspflicht auferlegt und sie damit noch weiter abmahnwütigen Rechtsanwälten ausliefert.

Update an die RSS-Leser: Interessante Diskussion in den Kommentaren.
Update 2: Dieser Beitrag wurde (als wollte man sagen: Blogger sind doch Journalisten ;-) in der “Presse” vom 22.5. abgedruckt.

22 replies on “Blogger sind keine Journalisten. Nochmal: Keine Journalisten.”

@Sekretär: Denke nicht, dass so ein Vergleich viel bringt. Die politische Diskussion, die ich alle paar Wochen mit meinem Friseur führe wird ja auch nicht gleich mit kolumnistischen oder journalistischen Ambitionen in Verbindung gebracht. Wozu auch?

Mir ist lieber, sie sieht das Potenzial für die Verbesserung der Kritikfähigkeit und verwechselt Blogger mit Journalisten als umgekehrt :-)
Das ist jetzt wilde Spekulation: Ich denke schon, dass M. Mojzis weiß, dass Blogger per se keine Journalisten (nach herkömmlichem Verständnis) sind; es wird für sie aber einfacher sein, diesen Weg nach innen zu verkaufen, wenn sie sie als zusätzlichen “Kanal” zu den (neuen) Stakeholdern präsentiert. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie in dieser Hinsicht unter enormem Erfolgsdruck steht.
Sehr spannend finde ich auch den Hinweis, dass die Integration von Social Media in den Kommunikationsmix bedeutet, dass andere Instrumente gestrichen oder reduziert werden. Bin schon gespannt, was das sein wird :-)

Ich Journalist/innen als Menschen, die sich professionell um objektive Informationen bemühen und diese dann weitergeben – als Meinung oder als Tatsache. Insofern ist mein Verständnis von Bloggern hier ähnlich. Aber vielleicht irre ich mich … ich freu mich jedenfalls auf jeden Hinweis, wie wir unsere Kommunikation diesbezüglich verbessern können. Und: Wähler/innen, Konsument/innen & Bürger/innen sind alle!

@Michi: Blogger würde ich eben gerade nicht in diese Kategorie einordnen, denn hier stehen in der Regel keine objektiven Informationen im Vordergrund, sondern subjektive Erfahrungen und Eindrücke. Und eben nicht professionell (außer der Blogger ist zufälligerweise im Brotberuf Journalist).

Eine Partei, die Blogging jedoch als eine Ausdrucksform immer schon dagewesener Mundpropaganda unter Wählern begreift, wird hier vielfältige Möglichkeiten entdecken, in diese Wählerdiskussionen einzusteigen. Auf Augenhöhe, so wie wir gerade eben. Das macht eine Partei menschlich und angreifbar, nicht nur für den Blogger selbst, sondern für die ganze kleine Community rund um das jeweilige Blog.

Die ideale Parteikommunikation sieht in dieser Hinsicht für mich so aus, dass jeder Mandatar (idealerweise jeder Funktionär) bloggt und sich dabei auch auf Kommentierende und andere Blogger (=Wähler) bezieht (=Links) und auch in den Kommentaren (seines und fremder Blogs) aktiv ist. So baut er sich ein Netzwerk an multiplizierenden Wählern, stellt aber auch sicher, dass er von diesen zeitnah gespiegelt bekommt, wie er und seine Themen ankommen. Ganz ohne Meinungsumfrage.

Presseaussendungen jetzt auch an Blogger (read: Wähler) zu senden, wie im Interview kurz angesprochen, wäre hingegen ganz verkehrt.

Ein Beispiel: Wenn ich persönlich an die SPÖ denke, denke ich an eine amorphe Parteimasse und an die Gesichter, die die ZiB populieren. Wenn ich an die Grünen denke, fallen mir zuerst die Menschen ein, deren Weblogs ich lese – die Partei wird zur Gruppe von Menschen, die ich auf Augenhöhe wahrnehme. (Ob ich inhaltlich mit ihnen übereinstimme oder nicht.) Weblogs dürfen aber auch nicht als Informations-Einbahnstraße geschweige denn als Trivialitäten-Tagebuch verstanden werden, sonst fliegen sie bei mir schnell wieder von der Blogroll.

Durch die 1%-Regel (hieße in dem Fall: 1% der Leser bloggen selbst, 9% kommentieren fleißig, 90% lesen nur mit) bekommt das ganze auch ordentlich Reichweite – im Gegensatz zur traditionellen Mundpropaganda.

[…] …sagt zumindest der Helge in einem jüngsten Blogeintrag. Damit hat er grundsätzlich recht. Aber sie können es sein. Ich habe dafür kurz bevor wir zum Bundesparteitag eingeladen wurden schon einmal das Wort dafür erhoben, dass zumindest gewisse Blogger durchaus als neue Journalisten wahrgenommen werden sollten und auch deren Rechte genießen sollen. Dabei bleibe ich. […]

Jedem / jeder das seine / ihre ist hier wohl die Devise, soweit ich das verstehe. Und: ich werde noch an meinem Blog-Stil arbeiten, das hab ich auch verstanden. Freu mich auf Beispiele von guten Politiker-Blogs aus verschiedener Sicht.

@Michi: Natürlich – suum cuique. War nur als Antwort auf die Frage “Wie können wir unsere Kommunikation diesbezüglich verbessern” gedacht.

Ich glaube, dass die Alternative “Journalisten oder Nicht-Journalisten” zu simpel ist. Ich würde sagen: Blogger sind Post-Journalisten. Einerseits ist die Technik so weit, dass der ganze Produktions- und Vertriebsapparat von Presse, Rundfunk und Fernsehen nicht mehr notwendig ist. Jeder kann über alles schreiben. Andererseits gibt es auch unter Bloggern unerschiedliche Reichweiten, nur hängen sie von der Reputation ab, die in sozialen Netzen gewonnen wird. Blogs sind zugleich eine fast private und eine öffentliche Kommunikationsform.

Der niederländische Soziologe Jan van Dijk schreibt, dass im Web Kommunikation auf der Makro-, Meso- und Mikroebene miteinander verbunden wird. Das trifft die Kommunikation in der Blogosphäre recht gut, finde ich.

@Heinz: Da kann ich überall zustimmen.

Mir geht’s lediglich darum, dass wir uns mal auf den Minimalkonsens einigen, dass Blogger keine Journalisten sind, um eine Phletora an falschen Schlüssen zu vermeiden.

Wenn der mal hergestellt ist, ist es sicher spannend, darüber nachzudenken, was Bloggen eigentlich ist, welche bestehenden Kommunikationsformen wie neu interpretiert werden und welche gesellschaftlichen Folgen das hat.

[…] Eine kleine vieleicht in Vergessenheit geratene Disku. konnte man in einem wirklich interessanten Artikel lesend verfolgen – welche nun offenbar wieder Feuer faengt: [..]Wie ”žDonAlphonso“, Urgestein aus der deutschsprachigen Bloggerszene in seinem Blog blogbar.de berichtet, hat die österreichische Tageszeitung Die Presse Blogger per E-Mail angeschrieben und um die Freigabe zur Übernahme ausgewählter Texte für die Printausgabe der Zeitung gebeten. Gegenleistung des Medienunternehmens, die Quellenangabe im entsprechenden Artikel. Aber Geld oder eine andere Entlohnung gibt es nicht.[..] Source -> Blogger sind eine neue Form von Journalisten. […]

Blogistan-Panoptikum Woche 21 2k7…

Jede Menge Tipps zur Optimierung des eigenen Blogs-Traffics und jede Menge Pech mit der guten alten Sex.com Domain – darum geht’s im aktuellen Wochenrückblick.
……

@MichiMojzis

Sie vergessen leider auf das ausschlagebende Element der “Selektion”. JournalistInnen müssen selektieren und können Nachrichten gar nicht in der gleichen Form verbreiten wie Blogger. Abgesehen davon, dass Journalisten praktisch nur im Kommentar ihre Meinung weitergeben dürfen/sollen.

Mir gefällt die Idee des “einfachen” Wählers der spricht(schreibt) wie beim Stammtisch. Ich denke, dass ist auch der Grund warum Blogs interessant sind.

Es gibt zwar das – zunehmend fiktive – Objektivitätsgebot für den klassischen Journalismus, der reality check zeigt aber oftmals Gegenteiliges. Selektion als Meinung und vice versa. Auf der anderen Seite der “einfache Wähler” (die einfache Wählerin), der/die den abgetakelten Stammtischgeruch nach säuerlichem Vorurteil mit frischem Blogwind vertreibt.
Objektivität vs. Meinung? Unspannend. Ich glaube, die Musik spielt zwischen Transparenz, Authentizität, Engagement und Partizipation einerseits und choreografiertem Gatekeeper-Ballett anderseits.
Let’s dance!

@Markus: Nicht Objektivität vs. Meinung, aber vermeintliche Objektivität vs. gelebte Subjektivität. Subjektivität, die ihre Quellen nennt (“via”) und in Bloggertraditon auf persönliche Interessenskonflikte hinweist (“Disclaimer”) – oder wenn nicht, mit entsprechenden Reaktionen in den Kommentaren leben muss.

All das ergibt die von dir zitierte Transparenz, Authenzität und Partizipation.

Das trifft aufs Bloggen genauso zu wie auf Gespräche im Freundeskreis (mit den beiden im Posting zitierten Unterschieden), denn auch dort werde ich sozial zu Transparenz gezwungen, auch dort gibt es einen Rückkanal.

Darum ist das (und nicht “Journalismus”) für mich die Analogie die zu einem – für beide Seiten – nützlichen politischen Umgang mit Bloggern führt.

Stimme zu, dass Blogger per se keine Journalisten sind. Gleichzeitig stimme ich auch einem Kommentar weiter oben zu, der meint, sie können aber im einzelnen Fall welche sein – und sehe auch die Gefahr bzw. Kontraproduktivität die von diversen gesetzlichen Sorgfaltspflichten etc ausgeht…

Denke darüber nach, ob man als Unterscheidungskriterium daher in Zukunft nicht stärker auf die Professionalität im Sinn von Erwerbsabsicht abstellen sollte: ein Blogger wird im Ausnahmefall zum Journalisten, wenn er dieses Medium mit der Absicht nutzt, daraus direkte Einkünfte zu erzielen. Dann und nur dann wäre es auch politisch gerechtfertigt, ihm alle diesbezüglichen Pflichten aufzuerlegen.

Vielleicht kann das als Argument in diversen noch kommenden politischen Debatten helfen…

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